Zwischen Kreativität und Leitplanken
Wer hat’s erfunden? Der Entwicklungsbetrieb der DRF Luftrettung! 2007 erhielt er die Zulassung nach den Regularien der Europäischen Luftfahrtbehörde European Union Aviation Safety Agency (EASA). Seither kann das 11-köpfige Team Ein- und Umbauten an den Hubschraubern der DRF Luftrettung und externer Kunden eigenständig umsetzen und für den Einsatz zulassen. Wir haben mit Michael Kunze, Fachbereichsleiter des Entwicklungsbetriebs und Mann der ersten Stunde, sowie Sven Hannen, Leiter der Musterprüfstelle, gesprochen. Gemeinsam werfen sie einen Blick auf die Anfänge, wegweisende Entwicklungen und die Herausforderungen eines ganz besonderen Fachbereichs der DRF Luftrettung.
Herr Kunze, Herr Hannen, werfen Sie bitte für uns einen Blick zurück auf die Anfänge des Entwicklungsbetriebs! Warum kam es überhaupt zur Gründung?
Michael Kunze: Daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. 2006 haben einige Kollegen mit der Aufbauarbeit begonnen. Zu dieser Zeit hatte die DRF Luftrettung eine recht große, aber sehr uneinheitliche Flotte an Hubschraubern im Einsatz. Die Maschinen kamen direkt aus dem Werk zu uns oder wurden zugekauft. Vieles von dem, was die Besatzungen täglich im Einsatz benötigten, musste dann in einem nächsten Schritt hier bei uns noch eingebaut werden. Im Jahr danach haben wir dann die erste Zulassung erhalten und ich bin als Leiter der Musterprüfstelle dazu gestoßen.
Sven Hannen: Menschenleben Retten gibt es eben nicht von der Stange: Es mussten und müssen die Hubschrauber, bevor sie an die Stationen gehen, unter anderem Funkgeräte, Navigationsvorrichtungen und auch Medizingeräte eingebaut werden. Das alles ist nach EASA-Regeln zulassungspflichtig. Ich bin 2011 dazu gekommen, weiß aber aus den Berichten der Kollegen der ersten Stunde, dass die DRF Luftrettung diese Veränderungen an den Hubschraubern früher mit eigenen Prüfern zulassen konnte. Doch dann verschärfte die EASA die Vorschriften und legte fest, dass Zulassungen nur noch über einen eigenen, zertifizierten Entwicklungsbetrieb möglich sein würden. Die Zulassung über externe Dienstleister ist extrem aufwändig und langwierig, daher fiel die Entscheidung, einen eigenen Entwicklungsbetrieb zu gründen.
Die Gründung liegt mittlerweile 15 Jahre zurück. Auf welche Entwicklungen aus dieser Zeit sind Sie besonders stolz?
Michael Kunze: Ich bin insgesamt stolz darauf, was wir in den Jahren unserer Gründung alles erreicht haben. Wir konnten fast alles umsetzen, was wir uns vorgenommen hatten. Diese Zuverlässigkeit ist uns sehr wichtig. Hervorheben könnte man jedoch unsere erste größere Zulassung: Skytrack war ein Satelliten gestütztes Kommunikationssystem, das es der Crew erlaubte, aus dem Hubschrauber heraus zu telefonieren. Zugleich konnten wir damit durchgehend die Position der Maschine auf einem Bildschirm sehen. Das war ein enormer Fortschritt in der Notfallrettung. Wir haben das System dann zügig weiterentwickelt zum heute breit unter anderem von Leitstellen eingesetzten Rescuetrack.
Sven Hannen: Sehr interessant war auch der Auftrag eines externen Kunden, ein neues GPS-basiertes Anflugverfahren für seine Hubschrauber zu entwickeln. Das bisher überall eingesetzte Funkverfahren zum Anflug von beispielsweise Flughäfen ist wartungsintensiv und man muss damit rechnen, dass es über kurz oder lang abgeschaltet wird. Das von uns entwickelte System mit dem Namen Localizer Performance with Vertical Guidance nutzt Satellitendaten, um Anflugrouten für jeden beliebigen Punkt – einen Flughafen, aber beispielsweise auch eine Klinik – zu erstellen. Die einmal erstellten sogenannten Flugpfade können dann immer wieder genutzt und „abgeflogen“ werden.
Michael Kunze: Und dann beschäftigen wir uns natürlich immer mit der Frage: Wie können wir die Luftrettung noch sicherer machen? Daraus ist unter anderem das Collision Avoidance System, das wir für unsere Hubschrauber des Typs EC135 entwickelt haben, entstanden. Dafür haben wir verschiedene Systeme kombiniert: Sogenannte Pulsing Lights, helle Blinklichter, die die Maschine optisch für andere sichtbarer machen, sowie Warnvorrichtungen mit Bildschirm und Warnton, wie sie Flugzeuge und Segelflieger einsetzen.
Da galt und gilt es sicherlich auch, die ein oder andere Hürde zu meistern. Welche Herausforderungen bringt Ihre Arbeit mit sich?
Michael Kunze: Kurz gesagt: Jeder Tag bringt etwas Neues, Routine finden Sie bei uns nicht. Daher müssen wir immer genau abschätzen, was wir leisten können. Denn unsere Entwicklungen sind teilweise aufwändig und kostenintensiv, sodass wir hier gegenüber unseren internen und externen Auftraggebern eine erhebliche Verpflichtung eingehen.
Sven Hannen: Aus nichts etwas machen, also eine Idee in eine konkrete Lösung zu übersetzen. Kreativität spielt bei uns eine große Rolle, wir haben keine festgelegten Abläufe, die wir abarbeiten und wir denken ständig über das bereits Bestehende hinaus. Dabei dürfen wir aber zugleich die Bauvorschriften der Hubschrauber nicht aus den Augen verlieren. Ihre Lufttüchtigkeit muss immer gegeben sein. Wir bewegen uns also in einem Spannungsfeld aus Erfinden und definierten Leitplanken, die eingehalten werden müssen.
Michael Kunze: Und auch hier steht ein Aspekt über allen anderen: Sicherheit. Wir können frei ausprobieren und erfinden, aber es muss sicher sein. Wenn wir wissen, dass die Bauvorschriften und die Lufttüchtigkeit nicht angegriffen werden, wissen wir, dass es sicher ist.
Verraten Sie uns auch, woran Sie derzeit arbeiten?
Sven Hannen: Gerade sind wir dabei, eine neue, hydraulische Trage für unsere Hubschrauber einzuführen, die den Crews im Einsatz das Einladen von Patienten wesentlich vereinfacht. Zudem bekommen unsere Nachtstationen neue Nachtsichtbrillen. Auch hier gilt wieder, dass neue Geräte nicht einfach in der Maschine eingesetzt werden können: Wir müssen sicher stellen, dass die Lufttüchtigkeit der Hubschrauber gewährleistet wird und auch die entsprechenden Genehmigungen einholen.
Was treibt sie und Ihr Team dabei an?
Michael Kunze: Für mich ist das ganz klar. Mit unserer Arbeit tragen wir dazu bei, Menschen in Not zu helfen. Das mache ich auch täglich meinem Team deutlich: Wann immer jemand da draußen in Schwierigkeiten ist, krank oder verletzt, liefern wir den Besatzungen an den Stationen das Werkzeug, um ihm zu helfen. Das ist ganz wichtig für uns. Wir arbeiten zwar technisch, aber der Mensch kommt für uns immer an erster Stelle. Es ist schön, einen unserer Hubschrauber am Himmel zu sehen und zu wissen, dass ich dazu beitragen konnte, dass er jetzt im Einsatz ist und Leben rettet. Ein weiterer Aspekt ist natürlich auch, den Kolleginnen und Kollegen an den Stationen die Arbeit zu erleichtern. Beispielsweise durch ein vereinfachtes Einladesystem für Patienten oder eine verbesserte Schnittstelle für die elektrische Versorgung der Medizingeräte.
Wir arbeiten zwar technisch, aber der Mensch kommt für uns immer an erster Stelle. Es ist schön, einen unserer Hubschrauber am Himmel zu sehen und zu wissen, dass ich dazu beitragen konnte, dass er jetzt im Einsatz ist und Leben rettet.
Michael Kunze, Leiter Entwicklungsbetrieb bei der DRF Luftrettung
Werfen wir noch einen Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie Ihre Abteilung in den nächsten Jahren?
Michael Kunze: Mein Ziel ist es, die DRF Luftrettung mit dem tollen Team, das wir hier haben, in Sachen Entwicklung weiter an der Spitze zu halten. Wir wollen einen Schritt voraus bleiben. Was uns gegenüber anderen Entwicklungsbetrieben abhebt ist die Tatsache, dass wir ein breites Spektrum an Leistungen und Kompetenzen abdecken und anbieten. Das möchten wir konsolidieren und ausbauen.
Sven Hannen: Ein externes Feld wird in der Zukunft sicher die Instandhaltung und Aufrüstung älterer Hubschrauber sein, damit diese dann weiterhin auf dem aktuellen Level an Sicherheit und Verfahren sind. Beispiel hierfür ist unter anderem das oben beschriebene Satelliten gestützte Anflugverfahren. Hier sehen wir einen Markt für uns, da ältere Hubschrauber grundsätzlich noch gut und einsetzbar sind, aber eben den aktuellen Anforderungen angepasst werden müssen.
Ein externes Feld wird in der Zukunft sicher die Instandhaltung und Aufrüstung älterer Hubschrauber sein, damit diese dann weiterhin auf dem aktuellen Level an Sicherheit und Verfahren sind.
Sven Hannen, Leiter der Musterprüfstelle bei der DRF Luftrettung
Wenn sich jetzt jemand überlegt, sich bei Ihnen zu bewerben – was muss er oder sie mitbringen?
Michael Kunze: Wir setzen eine einschlägige Berufsausbildung voraus, beispielsweise im Bereich Mechanik oder Elektronik, plus drei bis fünf Jahre Berufserfahrung. Kenntnisse aus dem Bereich Luftfahrt sind sehr von Vorteil, aber keine Voraussetzung. Ganz wichtig ist allerdings auch ein anderer Faktor, nämlich die Frage, wie jemand Probleme angeht. Schon im Vorstellungsgespräch beobachten wir sehr genau, wie jemand zu Antworten kommt und auf ungewöhnliche Aufgaben reagiert. Denn wie oben schon erläutert, sind bei uns zum einen technische Kenntnisse wichtig, zum anderen aber auch ein gehöriges Maß an kreativem Denken. Das macht es jeden Tag so spannend.
Autorin: Stefanie Kapp – Pressereferentin